Pilsen (Böhmen)

undefinedDas böhmische Pilsen (tsch. Plzeň) mit derzeit ca. 180.000 Einwohnern liegt im westlichen Teil Tschechiens. Pilsen erhielt seine Stadtrechte Ende des 13.Jahrhundert. In der im 19.Jahrhundert rasch wachsenden Industriestadt nahm der tschechische Bevölkerungsanteil ständig zu und erreichte um 1920 einen Anteil von fast 90% (Ausschnitt aus hist. Landkarte, aus: wikipedia.org/wiki/Böhmische_Westbahn, gemeinfrei und  Kartenskizze 'Tschechien' mit Plzeň rot markiert, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

Über die ersten Ansiedlungen von Juden in Pilsen liegen keine urkundlichen Belege mehr vor, da diese im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen vernichtet sein sollen. Aus dem Jahre 1338 stammt der erste schriftliche Nachweis von der Existenz von Juden in Pilsen, als Karl IV. den hiesigen Bürgern befahl: „Verprügeln der in der Stadt wohnhaften Juden vermeiden und jeden, der gegen diesen Befehl verstößt, streng bestrafen. Als sicher gilt, dass Anfang des 15.Jahrhunderts eine nennenswerte Anzahl von Juden in der Stadt ghettoartig gelebt hat; zu dieser Zeit gab es schon eine Synagoge - 1409 erstmals erwähnt - und eine um 1425 angelegte jüdische Begräbnisstätte. Aus den Anfängen des 16.Jahrhunderts sind Judenordnungen der Stadt Pilsen überliefert, die das jüdische Leben in der Stadt genau reglementierten; so wurde der Stadt Pilsen vom König Ladislaus u.a. das Privileg verliehen, über die Anzahl der hier lebenden Juden selbst zu bestimmen. Im Privileg hieß es u.a.:

... Und wir erteilen auch den Bürgern hiebei die Gnade, dass keine Juden weder jetzt noch künftighin weder wir noch die künftigen Könige von Böhmen in diese Stadt einführen können, denn die Juden wurden ihnen zur Stadt gegeben zu ihrem Nutzen von unseren Vorfahren, darum geben wir durch diese Schrift und vermöge unserer königl. Macht in Böhmen dieser Stadt und ihren Einwohnern die Macht dazu, dass sie die Juden aus der Stadt ausweisen können, wenn immer es ihnen gut erscheine ...

Dieses „Juden-Privileg“ setzten die Stadtväter sofort um; 1504 verjagten sie erstmals jüdische Bewohner aus Pilsen; damals war in Pilsen die nach Prag größte jüdische Gemeinde in Böhmen und Mähren beheimatet; die Flüchtlinge kamen in Nachbardörfern unter. 1533 mussten alle jüdischen Bewohner die Stadt verlassen, was das Ende der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde von Pilsen bedeutete. Mehrere Jahrhunderte war Pilsen nun „judenfrei“; erst Ende des 18.Jahrhunderts werden wieder vereinzelt Juden erwähnt: 1790 konnte der jüdische Handelsmann Joachim Propper Hauseigentum in Pilsen erwerben; weitere Juden durften hier ein Gewerbe ausüben.

Ansicht der Königl. Kreisstadt Pilsen, um 1815 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts gründeten die wenigen in Pilsen lebenden jüdischen Familien eine Gemeinde. Mehrheitlich fühlten sich die Pilsener Juden, die dann um 1880 immerhin einen Bevölkerungsanteil von knapp 6% stellten, dem deutschen Kulturbereich zugehörig; sie schickten ihre Kinder meist auf deutsche Schulen und waren auch in den lokalen deutschen Vereinen stark vertreten.

1856 durfte die Gemeinde auf einem Areal auf dem Roten Hügel bei Boleves eine eigene Begräbnisstätte anlegen.

Nur ein Jahr später wurde der Grundstein zur Synagoge auf einem Hinterhofgelände am zentralen Stephansplatz (heute Smetana-Platz) - etwas versteckt vor der Öffentlichkeit - gelegt; nach zweijähriger Bauzeit konnte diese eingeweiht werden. Da die Synagoge nur Platz für 250 Personen bot, kam ein paar Jahre später – mit einem Gang verbunden – unmittelbar nebenan eine „Hilfssynagoge“ dazu, die von reformierten Juden aufgesucht wurde. Gottesdienstlichen Zusammenkünften diente der Komplex nun knapp 25 Jahre - bis zur Vollendung der neu errichteten Großen Synagoge (1893). (Anm.: Die alte Synagoge wurde danach als Lagerraum zweckentfremdet und entging wohl auch deswegen der Zerstörung.)

                               alte Synagoge Pilsen (Aufn. um 1995, aus: jewish-route.eu)

1888 begann die recht wohlhabende jüdische Kultusgemeinde mit dem Bau einer neuen, der sog. „Großen Synagoge“. Ursprünglich sollte der Bau - nach Plänen des Wiener Architekten Fleischer - in gotischem Stil errichtet werden; doch der Magistrat der Stadt lehnte diese Planungen ab, da die Türme der Synagoge angeblich zu hoch wären und der Baukörper zu sehr dem der katholischen Kirche des Heiligen Bartholomäus ähnelte. Schließlich einigte man sich auf eine neue Baukonzeption des Architekten Emanuel Klotz, die dann 1891/1893 realisiert wurde: Das Bauwerk stellte sich nun als eine Mixtur aus neoromanischen und Neorenaissance-Elementen mit orientalischen Motiven dar; die das Portal flankierenden Türme waren auf 42 Meter reduziert worden und hatten eine Zwiebelform erhalten.

In ihrer Ausgabe vom 7. Sept. 1893 berichtete die Zeitschrift „Der Israelit“:

Pilsen, 31.August. Der hier neu erbaute Tempel, in welchem unsere Stadt einen Monumentalbau gewonnen hat, ist nun drei nachjähriger Dauer des Baues fertig gestellt, und wird am kommenden 7.September in festlicher Weise eingeweiht. Der Bau desselben wurde nach Plänen und unter Leitung des Baumeisters, Herrn Emanuel Klotz, vom Architekten Rudolf Stech mit einem Kostenaufwande von 200.000 Gulden ... ausgeführt und in künstlerischer Weise vollendet. Der Tempel ist im reinsten romanischen Style, hallenartig mit Rundbogenfenstern, Fialen und halbrunder Apsis zur Aufnahme der heiligen Lade erbaut und liegt in den westlichen Parkanlagen der Stadt; seine reiche Giebelfacade im Osten ist durch zwei je 50 Meter hohe Kuppelthürme flancirt ...

Der gewaltige mit einer Orgel ausgestattete Bau gehörte zu einer der größten jüdischen Sakralbauten in Europa. In der Synagoge waren ca. 2.000 Sitzplätze für Männer vorhanden; Frauen fanden auf den umlaufenden Emporen Platz.

           Synagoge in Pilsen (links: hist. Postkarte um 1900)

Anm.: Weil der Anteil der deutschen und tschechischen Juden in etwa gleich war, wurde die Sprache des Gottesdienstes wöchentlich gewechselt.

Nachdem der 1856 angelegte jüdische Friedhof in Lochotín aufgegeben worden war, legte die Pilsener Judenschaft 1898 ein neues Beerdigungsgelände an der Rokycanská-Straße an, das bis in die Gegenwart in Nutzung ist.

Juden in Pilsen:

         --- 1821 ............................     32 Juden,

    --- 1849 ............................     10 jüdische Familien,

    --- 1854 ............................    249   “   (in 41 Familien),

    --- 1864 ............................    234   “  ,

    --- 1868 ............................    676   “   (in 161 Familien),

    --- 1870 ............................  1.207   “  ,

    --- 1880 ............................  2.251   “   (5,8% d. Bevölk.),

    --- 1890 ............................  2.527   “  ,

    --- 1900 ............................  3.203   “   (4,7% d. Bevölk.),

    --- 1910 ............................  3.517   “  ,

    --- 1921 ............................  3.094   “  ,

    --- 1930 ............................  2.773   “  ,

    --- 1938 ........................ ca.  3.200   “  ,

    --- 1941 (Okt.) .....................  3.106   “  ,*      *Bezirk Pilsen

    --- 1942 (April) ....................    370   “  ,*

 

    --- 1948 ........................ ca.    300   "  ,

    --- 2000 ........................ ca.    100   “  .*

Angaben aus: Max Hoch, Geschichte der Juden in Pilsen

und                 Rudolf M.Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums im 19. u. 20.Jahrhundert, S. 25

 

Mitte der 1860er Jahre beunruhigte ein in Pilsen ausgebrochener Pogrom die jüdische Gemeinde; ein Silberdiebstahl war die Ursache dafür, dass sich eine antijüdische Stimmung der Masse in gewalttätigen Ausschreitungen entlud, die nur durch den Einsatz von Militär eingedämmt werden konnten. In den 1890er Jahren gewann unter den deutschen Einwohnern von Pilsen der Antisemitismus zunehmend an Einfluss.

„ Nachwehen der Pilsener Excesse. Im Monat August war Pilsen bekanntlich der Schauplatz von Judenexcessen, die schließlich durch Militärgewalt unterdrückt werden mussten. Aehnlich wie in der Stadt ging es auch in den benachbarten Ortschaften zu. ...“

(aus: „Die Welt“, Heft 25 vom 19.Nov. 1897)

„ ... Wie mit der Schnelligkeit eines Frühlingswindes breitet sich der Antisemitismus aus unter den Deutschen. Die Apostel der judenfeindlichen Lehre wachsen wie die Pilze nach dem Regen. ... Und jetzt wurde im Kasino ein Offiziersball veranstaltet, und von den Juden nicht ein einziger geladen. Die Funktionäre bekannten sich zur Fahne des Antisemitismus. Von dieser Zeit an wuchs der Antisemitismus auch in den Vereinen, es wurde ein zweiter arischer Turnverein gegründet, nur die Ortsgruppe des Schulvereins ... widerstand. In der Liedertafel wurden keine Juden in den Vorstand gewählt. ...”

(aus einer Lokalzeitung um 1900)

In den 1930er Jahren - besonders nach dem sog. „Münchner Abkommen“ - setzte eine Zuwanderung zahlreicher deutscher Juden in die Tschechoslowakei ein; allein nach Pilsen sollen mehr als 700 Personen gekommen sein. Propagandistische Aktivitäten tschechischer Faschisten gegenüber den Juden waren seit Ende der 1920er Jahre festzustellen. Eine der bedeutendsten faschistischen Organisationen hieß „Vlajka“ („Flagge“) und wurde wegen ihrer Angriffe verboten; trotzdem setzte die Bewegung - bis zu ihrer Legalisierung am 15.3.1939 - ihre Aggressionen fort. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht ging diese nun offen gegen die jüdische Bevölkerung vor; jüdische Geschäfte wurden registriert und Händler angegriffen. Ein Bombenanschlag auf den jüdischen Friedhof in Pilsen misslang; die Täter kamen dabei ums Leben.

                          "Judendeportation" aus Pilsen (Aufn. Jan. 1942)

Mit der deutschen Besetzung war das Ende der großen jüdischen Gemeinde besiegelt. Im Januar 1942 wurden etwa 2.600 Juden aus Pilsen und Umgebung in drei großen Transporten nach Theresienstadt und in andere Lager deportiert; nur wenige blieben in Pilsen zurück. Von den Deportierten sollen mehr als 90% die Kriegsjahre nicht überlebt haben.

 

Unmittelbar nach Kriegsende wurde in Pilsen die jüdische Gemeinde neu begründet. Allerdings verließ ein Großteil der jüdischen Bewohner bis Ende der 1940er Jahre die Stadt, um nach Amerika bzw. in den neugegründeten Staat Israel zu emigrieren. Eine weitere Emigrationswelle erfolgte nach der Niederschlagung des sog. "Prager Frühlings" des Jahres 1968. Die heutige jüdische Gemeinde in Pilsen zählt kaum 100 Mitglieder; sie verfügt nur über einen kleinen Gebetsraum, in dem an Feiertagen Gottesdienste abgehalten werden. 

Das am Ende des Zweiten Weltkrieges schwer beschädigte Synagogengebäude - der letzte Gottesdienst fand hier 1973 statt - wurde Ende der 1990er Jahre aufwändig restauriert; im Februar 1998 konnte der Bau mit der feierlichen Einbringung der Thorarollen wieder eingeweiht und der Öffentlichkeit übergeben werden.

Great Synagogue in Pilsen-2010.jpg

„Tempel“ von Pilsen (Aufn. T., 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 3.0 und aus: jewish-route.eu, um 2000)

 Das über Jahrzehnte hinweg dem Verfall preisgegebene alte Synagogengebäude von 1857 ist nach längerer Renovierung (2001/2014) wieder zugänglich (Aufn. Hadonos, 2014  und  Hemeier, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0); die nur aus wenigen Angehörigen bestehende Gemeinde nutzt das Gebäude für ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte. Es ist geplant, das Gotteshaus zum Standort eines regionalen Museums jüdischer Kultur zu machen. Auf dem unmittelbar angrenzenden Gelände der ehemaligen "Hilfssynagoge" befindet sich ein Mahnmal für die Opfer des Holocaust; die im "Erinnerungsgarten" liegenden Steine tragen die Namen der ermordeten Menschen.

                                                  "Erinnerungsgarten" (Aufn. Hemeier, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem bis in die 1920er Jahre genutzten jüdischen Friedhof wurden Mitte der 1980er Jahre die Grabsteine entfernt und das Gelände in eine Grünanlage verwandelt.

Auf dem bis heute genutzten Beerdigungsgelände an der Rokycanská-Straße erinnert ein Denkmal an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

File:New Jewish cemetery in Plzeň, 2012, 02.JPGFile:New Jewish cemetery in Plzeň, 2012, 03.JPG

Ansichten des neuen jüdischen Friedhofs in Pilsen (beide Aufn. Ladislav Faigl, 2012, aus: commons.wikimedia.org)

Seit 2012 wurden auch in Pilsen zahlreiche sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige jüdischer Familien erinnern, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind.

Stolperstein für Leo Brummel.jpgStolperstein für Gertruda Brummelova.jpgStolperstein für Eliska Brummelova.jpg  Stolperstein für Josef Ehrlich.jpgStolperstein für Hermina Ehrlichova.jpgStolperstein für Emil Ehrlich.jpg

Stolpersteine für Angehörige zweier Familien in Pilsen (alle Aufn. Chr. Michelides, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

                                                  ... und verlegt für Familie FantaStolperstein für Adolf Fanta.jpgStolperstein für Hana Fantova.jpgStolperstein für Regina Fantova.jpg

Im böhmischen Gutwasser (tsch. Dobra Voda) ist heute eine Filiale des Westböhmischen Museum Pilsen angesiedelt, das sich der Historie der ehemaligen Judengemeinden des Böhmerwaldes bzw. von Südwest-Böhmen widmet. Unter der Bezeichnung „Simon-Adler-Museum“ von Dobra Voda hält das kleine Museum die Erinnerung an mehr als 100 „verschwundene“ jüdische Gemeinden wach; im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Leben der Familie Adler. Der aus Gutwasser stammende Dr. Simon Adler war Rabbiner und Gelehrter, der an mehreren Rabbinaten wirkte. Er wurde - zusammen mit seiner Frau und einem seiner Söhne - im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet.

 

 

 

In der Region um Pilsen hat es zahlreiche jüdische Gemeinden gegeben, die zumeist bis in die 1930er Jahre bestanden. In den folgenden Orten wohnten jüdische Familien in nennenswerter Zahl ansässig, die Gemeinden gebildet haben: in Blovice, Brenn-Poritschen (Spálené Poríci), Chiesch (Chyse), Kardasova Recice, Kollautschen (Kolovec), Merkelsgrün (Merklin), Netschetin (Nectiny), Piwana (Pnovany), Rabstein a.d. Schnella (Rabstejn nad Strelov), Radnice und Svihov (Schwihau).

 

Ein erster urkundlicher Hinweis auf die Existenz jüdischer Familien in Brenn-Poritschen (tsch. Spálené Poricí, derzeit ca. 2.700 Einw.) stammt aus dem Jahre 1623; zunächst lebten die Juden verstreut im Ort, ehe sie in einer „Judengasse“ wohnen mussten. Bis Mitte des 19.Jahrhunderts stieg die Zahl der jüdischen Bewohner an. Neben einer Synagoge und einem Friedhof gehörten zu den gemeindlichen Einrichtungen ein 1825 eröffnetes Hospital, das umherziehenden Glaubensgenossen Unterkunft und Hilfe gewährte; auch eine Religionsschule gab es seit 1800, die 1884 in eine öffentliche Elementarschule umgewandelt wurde.

                Synagoge in Brenn-Poritschen (hist. Aufn. 1900)

Zwei Katastrophen - ein Großfeuer 1838 und eine Überschwemmung 1897 - vernichteten Hab und Gut der jüdischen Bewohner. Bis 1920/1930 hatten fast alle Juden den Ort verlassen; die Gemeinde wurde aufgelöst und das gemeindliche Vermögen der Kultusgemeinde Pilsen übereignet. Die wenigen hier noch verbliebenen Familien wurden 1941/1942 deportiert.


Jüdischer Friedhof (Aufn. Fet'our, 2011, aus: wikipedia.org, CCO und Jirka D., aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

In Kasejowitz (tsch. Kasejowice, derzeit ca. 1.200 Einw.) - südlich von Pilsen gelegen - wurden jüdische Bewohner erstmals um 1570 erwähnt. Seit den 1720er Jahren lebten die hiesigen Juden in einem Ghettobezirk. Die etwa 15 Häuser und die Synagoge lagen um einen Platz im östlichen Ortskern. Sie sind zumeist bis heute erhalten. Die im Barockstil gestaltete Synagoge stammt aus der Mitte des 18.Jahrhunderts und wurde mehrfach umgebaut; Gottesdienste fanden hier bis in die 1920er Jahre statt.

          

Skizze der Synagoge (aus: jewishgen.org)  -  Synagoge vor und nach der Restaurierung (Aufn. um 1970 und 2010, aus: jewish.route.eu)

Das restaurierte Synagogengebäude dient seit 1993 musealen und kulturellen Zwecken; so findet man hier u.a. auch eine Sammlung von Judaica. - Bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist auch der um 1660/1670 an einem Hang angelegte jüdische Friedhof, dessen älteste Grabsteine aus dem beginnenden 18.Jahrhundert stammen; die Steine tragen teilweise Inschriften in tschechischer Sprache. - Die letzten jüdischen Bewohner - im Jahre 1930 hatten hier nur noch ca. 30 Menschen gelebt - wurden nach Kriegsbeginn deportiert und fanden zumeist in den Vernichtungslagern den Tod.

jüdischer Friedhof in Kasejovice (Aufn. aus: jewish-route.eu)

 

 

In Radnitz (tsch. Radnice, derzeit ca. 1.700 Einw.) ist bis heute das alte jüdische Viertel mit dem spätbarocken Synagogengebäude erhalten geblieben. Die ersten Ansiedlungen von Juden im Ort lassen sich im 16.Jahrhundert nachweisen; vermutlich im Zusammenhang mit den Vertreibungen aus Pilsen. 1935 löste sich die Gemeinde auf. Auf Initiative eines Vereins wurde das inzwischen völlig verfallene Synagogengebäude (seit 1994 ein "geschütztes Kulturdenkmal") – jahrzehntelang bis Anfang der 1990er Jahre als Autowerkstatt benutzt - restauriert und 2001 der Öffentlichkeit übergeben. Die ursprüngliche Frauenempore ist noch erhalten.

  restauriertes Synagogengebäude (Aufn. B. Skála, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY 2.5)

Von dem im 16.Jahrhundert angelegten jüdischen Friedhof sind nur relativ wenige Grabstätten erhalten geblieben; die ältesten stammen aus dem 18.Jahrhundert. Die Gelände gilt seit 2011 als "schützenswertes Kulturdenkmal".

Radnice-Jewish cemetery5.jpg Aufn. Ben Skála, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY 2.5

 Mit der Gemeinde von Radnice ist der Rabbiner Isaak Mayer-Weis verbunden, der in die USA emigrierte und dort das Reformjudentum wesentlich mitgestaltete.

 

 

 

In Rescho(h)lau/Reschowitz/Reschwitz (tsch. Hřešihlavy) – knapp 30 Kilometer nordöstlich von Pilsen – ist jüdisches Leben seit der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts dokumentiert. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die Gemeinde mit ca. 260 Angehörigen (etwa 30 Familien stellten etwa die Hälfte der Dorfbevölkerung) ihren zahlenmäßigen Höchststand. Nach 1850/1860 setzte die Abwanderung in größere Städte ein, so dass sich schließlich die Gemeinde ganz auflöste. Das Synagogengebäude, das aus dem 19.Jahrhundert stammte, wurde aufgegeben (und noch vor 1938 abgerissen). Um 1920 lebten nur noch sehr wenige Juden im Dorf.

Der um 1820 angelegte, abseits in einem Waldgelände liegende jüdische Friedhof (Aufn. Krabat, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) weist heute noch ca. 50 Grabsteine auf. Die meisten, aus dem 19.Jahrhundert stammenden Häuser des jüdischen Viertels sind erhalten geblieben.

 

 

 

Im ca. zwölf Kilometer westlich von Pilsen entfernten Nürschan, früher Nyrschan (tsch. Nýřany, derzeit ca. 7.000 Einw.) existierte eine kleine jüdische Gemeinde; sie muss erst im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts sich gebildet haben, Mit nicht einmal 80 Angehörigen erreichte sie um 1890/1900 ihren zahlenmäßigen Zenit. Die kleine Gemeinschaft verfügte auch über ein um 1902/1904 eingerichtetes Gotteshaus, das zuvor vermutlich als christliche Kirche benutzt worden war (?).

Synagoge von Nürschan (hist. Ansichtskarte von 1899)  und  zerstörte Synagoge (Aufn. 1939, aus: zanikleobce.cz)

Die Zahl der jüdischen Bewohner war nach 1910 immer mehr rückläufig; so sollen 1938 nur noch neun Personen mosaischen Glaubens in der Kleinstadt gelebt haben. Im November 1938 wurde die Synagoge in Brand gesteckt, ein Jahr später die Ruine abgerissen.

 

 

 

In Tuschkau-Kosolup (tsch. Město Touškov, derzeit ca. 2.000 Einw.) - einer Kleinstadt im Bezirk Pilsen - sind Reste eines jüdischen Friedhofs erhalten geblieben, dessen Anlage im 16.Jahrhundert erfolgt sein muss; der älteste noch vorhandene Grabstein datiert von 1543.

Bereits im 16.Jahrhundert existierte hier vermutlich eine jüdische Gemeinde; ihre Blütezeit soll im 18.Jahrhundert gewesen sein.

Die 1780 erbaute Synagoge in Kosolup fiel 1927 einer Überschwemmung zum Opfer; deshalb nutzte man fortan das vergrößerte Bethaus in Tuschkau.

Aufn. Krabat, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

 

 

 

In Mies (tsch. Stribro) - etwa 30 Kilometer westlich Pilsens - sollen jüdische Familien bereits im späten Mittelalter gelebt haben. Eine neuzeitliche israelitische Gemeinde konstituierte sich in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts; um die Jahrhundertwende erreichte diese mit ca. 170 Angehörigen ihren Höchststand. Ihren Lebensunterhalt bestritten die Mieser Juden fast ausschließlich als Kaufleute; einige besaßen am Ort Industriebetriebe. 1879 errichtete die hiesige Gemeinde eine Synagoge; zwei Jahrzehnte später erfolgte die Anlage eines eigenen Friedhofs. Nach der deutschen Annexion des Sudetenlandes 1938 verließen fast alle Juden ihren Wohnort. 

vgl. Mies (Böhmen)

 

 

 

In Stienowitz, auch Stenowitz (tsch. Štěnovice, derzeit ca. 1.800 Einw.) ist ein jüdischer Friedhof vorhanden, der zu Beginn des 19.Jahrhunderts angelegt wurde. Auf dem Gelände befinden sich heute ca. 160 Grabsteine.

              Aufn. Krabat, 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 Štěnovice 01 ŽH.JPG

Nachweislich soll sich im Dorf in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts die jüdische Gemeinde gebildet haben. Um 1840/1850 waren hier mehr als 30 jüdische Familien ansässig, die aber in den Folgejahrzehnten dann nach Pilsen und in andere Städte abwanderten. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges löste sich die israelitische Gemeinde auf.

 

 

 

Weitere Informationen:

Max Hoch (Bearb.), Geschichte der Juden in Pilsen, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I, Jüdischer Buch- u. Kunstverlag Brünn/Prag 1934, S. 479 – 488

Jan Kára (Bearb.), Geschichte der Juden in Kassejowitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart. Jüdischer Buch- u. Kunstverlag Brünn/Prag 1934, S. 261 –  264

Rudolf Rosenzweig (Bearb.), Geschichte der Juden in Brennporitschen, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I, Jüdischer Buch- u. Kunstverlag Brünn/Prag 1934, S. 59 - 62

Jizchok Löwy (Bearb.), Geschichte der Juden in Tuschkau-Kosulup, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn/Prag 1934, S. 684

Hugo Gold (Hrg.), Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Böhmens, Tel Aviv 1975

Anton Herzig (Bearb.), Pilsen. Heimatstadt seiner deutschen Bewohner und Metropole an der Sprachgrenze. Ein Lesebuch, Hrg. Heimatkreis Mies-Pilsen e.V., Dinkelsbühl 1978, S. 31 f.

Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 122 - 590 und Teil 2, Abb. 100

Ferdinand Seibt (Hrg.), Die Juden in den böhmischen Ländern - Vorträge der Tagung des Collegiums Carolinum in Bad Wiessee (November 1981), Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1983

Jiří Fiedler, Jewish Sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 91/92 (Kasejowitz) und S. 132/133 (Pilsen)

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1108 - 1110

Rudolf M.Wlaschek, Juden in Böhmen - Beiträge zur Geschichte des europäischen Judentums im 19. und 20.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 66, Verlag R. Oldenbourg, München 1997

The Jewish Community of Plzen (Pilsen), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/pilsen-plzen

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol 2, S. 989 und Vol. 3, S. 1252

Ingild Janda-Busl, Is gewejn a Folk - Jüdisches Leben in Böhmen und der nördlichen Oberpfalz von Hof bis Weiden und von Eger bis Pilsen, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Weiden/Oberpfalz 2001, S. 54

Ingild Janda-Busl, Auf den Spuren jüdischen Lebens entlang der Böhmisch-Bayrischen Grenze im Bereich des Böhmerwaldes, Maschinenmanuskript, Bamberg 2003, S. 27 - 30

Jewish Families from Plzeň (Pilsen), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Plze%25C5%2588-Pilsen-Bohemia-Czech-Republic/13187

Jewish Families from Spálené Poříčí (Brennporitschen), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Sp%25C3%25A1len%25C3%25A9-Po%25C5%2599%25C3%25AD%25C4%258D%25C3%25AD-Brennporitchen-Bohemia-Czech-Republic/15122

Jewish Families from Hřešihlavy (Rescholau), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-H%25C5%2599e%25C5%25A1ihlavy-Rescholau-Bohemia-Czech-Republic/15390

Jewish Families from Nýřany (Nürschan), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Nýřany-Nürschan-Bohemia-Czech-Republic/people/37450

Jewish Families from Štenovice (Stienowitz), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-%25C5%25A0tenovice-Stienowitz-Bohemia-Czech-Republic/26402

Karl W. Schubsky (Red.), Die Große Synagoge in Pilsen, in: haGalil.com vom 9.1.2012

The Jewish Community of Pilsen, Plzen, online abrufbar unter. dbs.anumuseum.org.il/skn/en/c6/e137589/Place/Pilsen_Plzen

Andreas Edom/Janet Ben Hassin (Red.), Die drittgrößte Synagoge der Welt, in: „Jüdische Rundschau“ vom 5.1.2016

Auflistung der in Pilsen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_im_Plzeňský_kraj

Paul Reichenbecher (Red.), Die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Pilsen, in: geo-e-log.com vom 4.4.2018

Markéta Kachliková (Red.), Tschechiens größte Synagoge feiert 125 Jahre, in: "Radio Prag International" vom 27.9.2018

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020, u.a. S. 389